Storys können den Wert deiner Produkte um 2.800% steigern.
„Ach … erzähl mir keine Gschichtln“, sagst du.
„Das mach’ ich nicht“, sage ich und verweise auf das Significant Objects Project.
„Welches Projekt?“, fragst du.
Das Significant Objects Project
Im Jahr 2009 hatten Joshua Glenn and Rob Walker eine Idee. Sie waren sich sicher, dass Geschichten den Wert von Objekten steigern können.
„Stories are such a powerful driver of emotional value that their effect on any given object’s subjective value can actually be measured objectively.“ — Joshua Glenn and Rob Walker
Sie wollten ihre These beweisen – die objektive Wertsteigerung musste irgendwie messbar sein. Ganz unwissenschaftlich (aber sehr praktisch) nahmen sie sich eBay zu Hilfe.
Sie kauften in Secondhand-Läden und auf Flohmärkten 100 unterschiedliche und billige Objekte für einen Gesamtbetrag von 128,74 $ ein. Einhundert Autor:innen entwickelten einhundert fiktionale und zu den Objekten passende Geschichten.
Anschließend wurden die Objekte über eBay verkauft. Statt der Produktbeschreibung fügten Joshua und Rob die fiktionalen Geschichten ein – immer mit dem Hinweis auf den:die Autor:in und dass es sich um eine fiktionale Geschichte handelte (die Käufer:innen sollten nicht betrogen werden).
Das Ergebnis? Die um die Geschichten erweiterten Objekte wurden für 3.612,51 $ wieder verkauft – eine 28-fache Wertsteigerung.
Wie funktionieren Geschichten? Eine Geschichte von Klatsch & Tratsch
Es begann vor etwa 70.000 Jahren. Neue Denk- und Kommunikationsformen starteten ihre Entwicklung in den Gehirnen der Menschen. Die sich parallel entwickelnde Sprachkompetenz ermöglichte es den Menschen, miteinander zu kooperieren und sich in größeren Gruppen zu organisieren.
„Mithilfe von verlässlichen Informationen über zuverlässige Mitmenschen konnten die Sapiens ihre Gruppen stark erweitern, enger miteinander zusammenarbeiten und komplexere Formen der Zusammenarbeit entwickeln.“ — Harari, Yuval Noah. Eine kurze Geschichte der Menschheit.
Laut Harari besagt eine von zwei Theorien, dass es den Menschen anfangs nicht darum ging, sich über köstliche Büffel oder gefährliche Löwen zu unterhalten (und zu überleben), sondern darum, „wer in der Gruppe wen nicht leiden kann, wer mit wem schläft, wer ehrlich ist und wer andere beklaut.“
Der Mensch ist ein geübter Storyteller, der seit Jahrtausenden sein Zusammenleben durch Geschichten ordnet, es koordiniert und durch Erzählungen Vertrauen aufbaut.
Wenn dich eine Freundin fragt, „Wie war dein Wochenende?“, erstellst du keine Liste aus Zahlen und Daten, sondern du erzählst ihr eine kurze (oder unangenehm lange?) Geschichte.
Harari beschreibt weiter:
„Doch das wirklich Einmalige an unserer Sprache ist nicht, dass wir damit Informationen über Menschen und Löwen weitergeben können. Das Einmalige ist, dass wir uns über Dinge austauschen können, die es gar nicht gibt. […] Nur mit der menschlichen Sprache lassen sich Dinge erfinden und weitererzählen. Man könnte sie deshalb als »fiktive Sprache« bezeichnen.“ — Harari, Yuval Noah. Eine kurze Geschichte der Menschheit.
An dieser Stelle müssen wir zwischen einer erfundenen Wahrheit und einer Lüge unterscheiden. Eine erfundene Wahrheit ist etwas, an das alle glauben – und solange alle daran glauben (das Geldsystem zum Beispiel) hat die erfundene Wahrheit ganz reale Auswirkungen auf unser Leben.
Marken sind erfundene Wahrheiten. Staaten sind erfundene Wahrheiten. Rechtssysteme sind erfundene Wahrheiten.
Genauso wenig nehmen wir fiktionale Geschichten als Lügen wahr. Sie sind – offensichtlich – erdacht, nicht real … aber stimmt das denn wirklich?
Realitäten im Kopf – Ganz ohne Verrücktheit
„Schon verrückt“, sage ich. „Geschichten vervielfachen nicht nur den Wert deiner Produkte, sie können deinen Bewegungsapparat verlangsamen, deine Atemfrequenz erhöhen oder sie lassen dich das Treten eines Fußballs im Kopf durchspielen.“
Die Forschenden fanden heraus, dass es im Gehirn des Affen keinen Unterschied machte, ob er selbst eine Nuss nahm oder bloß dabei zusah, wie einer der Wissenschaftler nach der Nuss griff. In seinem Kopf wurde die Bewegung nachgespielt – sie wurde real.
Daniel Kahnemann beschreibt in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken ein ebenso erstaunliches Projekt. Er und sein Team experimentierten an Menschen – ganz harmlos, versteht sich. Durch das Experiment bewegten sich die Teilnehmenden langsamer, vollkommen unterbewusst. Der Aufbau des Experiments war simpel – die Teilnehmer:innen mussten lediglich einen Text lesen.
Der Text bestand aus Wörtern, die Bedeutungen wie alt, langsam, hügelig oder steil enthielten. Die Wörter alt oder langsam kamen selbst nicht vor.
Nach dem Experiment maßen die Forscher:innen, wie schnell sich die Teilnehmenden zum Aufzug oder zum Stiegenhaus bewegten. Das Ergebnis war eindeutig und wiederholbar. Diejenigen, die den „langsamen“ Text lasen, bewegten sich langsamer als die Kontrollgruppe.
Durch die richtigen Wörter werden Geschichten in unseren Köpfen real. Geschichten sind gewissermaßen wie die Trainingshalle in der Matrix, in der wir alles Mögliche ausprobieren können, ohne uns zu verletzen.
Homo oeconomicus
Die Griechen wussten es bereits besser als die Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Vor mehr als 2.000 Jahren formulierte Aristoteles seine Rhetorik, in der er drei zentrale Überzeugungsstrategien aufzählte:
- Logos. Die Logik, die Vernunft. Zahlen, Daten, Fakten.
- Pathos. Die Emotion. Das Publikum soll Emotionen spüren, um mitgerissen zu werden. Begeisterung, Angst, Hoffnung.
- Ethos. Die Glaubwürdigkeit. Wie vertrauens- und glaubwürdig ist der Sprecher? Ist er kompetent, ehrlich, moralisch?
Aristoteles wusste, dass Menschen nicht rein rational handeln und von ihren Gefühlen und Emotionen gesteuert werden.
Aber dann haben die Menschen das Wissen vergessen – und den Homo economicus geschaffen. Er beschreibt ein Modell, das in den Wirtschaftswissenschaften genutzt wird, um ökonomisches Verhalten zu erklären und vorherzusagen.
Tversky und Kahnemann bogen mit einem Lastwagen neuer Erkenntnisse genau zur rechten Zeit um die Ecke und verscheuchten den Homo economicus mit seiner Verhaltensökonomie. Danke dafür! – denn ein vollständig rationaler Mensch könnte vermutlich keine Entscheidung treffen.
Die rationalen Faktoren für eine Entscheidung ließen sich bis ins unendliche verfeinern – sogar so weit, dass zuerst eine neue Wissenschaft erfunden werden müsste, die an der Stelle weiterhelfen würde, an der die Ratio nach aktuellem Wissensstand keine eindeutige Entscheidung treffen kann … und so weiter.
Nicholas Nassim Taleb schreibt in seinem Buch Narren des Zufalls:
„Descartes’ Irrtum stellt eine ganz einfache These auf: Man führt eine chirurgische Ablation an einem Hirnteil eines Menschen durch (etwa Entfernung eines Tumors und des umliegenden Gewebes) mit der ausschließlichen Wirkung, dass diese Person keine Gefühle mehr empfinden kann – sonst nichts (ihr Intelligenzquotient und andere Fähigkeiten verändern sich nicht).
In diesem kontrollierten Experiment wird also die Intelligenz von den Emotionen getrennt. Man hat jetzt einen rein rationalen Menschen, völlig unbelastet von Gefühlen und Emotionen. Aufgepasst: Damasio zufolge ist dieser völlig unemotionale Mensch nicht in der Lage, die kleinste Entscheidung zu treffen. Er kann morgens nicht aufstehen und vertrödelt den ganzen Tag mit einem fruchtlosen Abwägen von Entscheidungen. Was für ein Schock! Das widerspricht ja sämtlichen Erwartungen: Ohne Emotionen kann man keine Entscheidungen treffen.
Mathematiker geben aber die gleiche Antwort: Würde man eine Optimierungsoperation über eine große Sammlung von Variablen durchführen, würde es selbst bei einem einfacheren Gehirn als dem unseren sehr lange dauern, bis man bei den simpelsten Aufgaben zu einer Entscheidung gelangt. Wir brauchen also eine Abkürzung; Emotionen dienen dazu, uns von solchen Verzögerungstaktiken abzuhalten.“
Zwei Schritte zurück
Gehen wir zwei Schritte zurück und sehen uns an, was wir herausgefunden haben:
- Geschichten sorgen schon seit Jahrtausenden für Vertrauensaufbau, Zugehörigkeit und Zusammenarbeit
- Bewegungen, Gerüche, Töne und Farben in Erzählungen werden in unseren Köpfen real
- Schon Aristoteles wusste: Du benötigst Logos, Pathos und Ethos, um zu überzeugen.
- Menschen sind emotionsgetriebene und -gesteuerte Wesen
Das sind (in durchaus groben und detailarmen Pinselstrichen aufgetragen) die Funktionsweisen des menschlichen Denkens und Handelns. Daraus können wir einen Algorithmus entwickeln, der unsere Storytelling-Maschine steuert. Als Input fügen wir persönliche Geschichten und Anekdoten ein und als Ergebnis erhalten wir:
- Kund:innen, die uns vertrauen.
- Kund:innen, die den Umfang unserer Produkte auf dem Spielplatz der Geschichten testen konnten.
- Kund:innen, die emotional überzeugt sind.
- Kund:innen, die nach mehr verlangen, weil sie sich unterhalten fühlen.
Zurück zu den Significant Objects
Können wir anhand des Algorithmus die Wertsteigerung der Significant Objects erklären? Die Antwort lautet: Nein.
Es waren natürlich nicht bloß die Geschichten, die den Wert der Objekte steigen ließen. Es war der gesamte Rahmen des Projekts – die Käufer:innen auf eBay wurden in der Produktbeschreibung darüber aufgeklärt.
Trotzdem lässt sich nicht von der Hand weisen, dass das Hinzufügen einer Geschichte dem Objekt Leben eingehaucht, Persönlichkeit gegeben und dadurch seinen Wert gesteigert hat. Es ist die Verbindung aus Objekt und Geschichte, die sich einfach übertragen lässt in die Verbindung aus Produkt und Geschichte oder Dienstleistung und Geschichte.
Ein großartiges Produkt kann auch ohne Geschichte erfolgreich sein. Ein großartiges Produkt in Verbindung mit einer begeisternden und einnehmenden Geschichte wird beinahe garantiert erfolgreich werden.
Geschichten machen alles Vorstellbare lebendig – manchmal sogar das Unvorstellbare.