Apple verkaufte mit dem iPod kein technisches Gerät mit 5GB Speicherplatz – sondern 1.000 Songs in deiner Hosentasche.

„Nicht schon wieder das Apple-Beispiel“, sagst du und atmest absichtlich laut und tief aus.

„Na gut“, sage ich, „dann eben das …“

Gefühl von Freiheit

Sehen wir uns ein aktuelles Beispiel an. Klicke auf die Sales-Page des Souverän Skaliert 2.0 Kurses.

Lies dir die Seite genau durch. Was fällt dir auf? Was wird verkauft?

Oder hier, was wird hier verkauft?

Um ein seriöses Beispiel zu nennen, schau dich mal auf der Website dieser bekannten Marke um.

Und was sagt die Website von Harley-Davidson?

Besucht am 16.12.2024

„Verschenke dieses Jahr zu Weihnachten ein Stück Freiheit.“

Welche Aussage wiederholt die deutsche Autoindustrie seit Jahrzehnten in Dauerschleife? Das Auto ist nicht nur ein Fahrzeug, es ist Freiheit.

https://youtu.be/mx0Yh1Mjxqg?si=QYLjwlKl7wDKnRTj&t=87

Als Letztes sehen wir uns noch ein großartiges Beispiel aus der heurigen Winter-Weihnachts-Werbungs-Saison an.

https://www.youtube.com/watch?v=MI8vn_k7xOY

Die Metapher ist stark, die Bildsprache klar, die Geschichte berührend. Der Slogan ist wie die eine Person, bei der alle immer gerne zusammenkommen. Er verbindet die Geschichte mit dem Unternehmen.

Want vs. Need

Im Storytelling fiktionaler Geschichten gibt es das Werkzeug des Want vs. Need. Deine Hauptfigur will zu Beginn der Geschichte etwas haben. Sie wird aktiv, damit sie es bekommt. Auf der Reise entdeckt sie jedoch, dass sie etwas ganz anderes braucht, um glücklich zu werden. Die Entwicklung der Figur ist zu Ende, wenn sie bekommt, was sie braucht – auch wenn sie das, was sie will, nicht erhält.

Klingt komplizierter, als es ist. Ein Beispiel:

Kevin – Allein zu Haus

Nach einem hektischen Abend der wilden Packerei für den Urlaub, bei der Kevin von allen ignoriert wird, findet er beim Abendessen keine Käsepizza mehr.

„Hat mir irgendjemand eine Käsepizza bestellt?“, fragt er.

„Ja, haben wir“, antwortet sein Bruder Buzz. „Aber wenn du eine willst, muss sie erst jemand heraufwürgen … weil wir sie aufgegessen haben.“

Das ist zu viel. Er attackiert Buzz und Chaos bricht aus, weshalb er im gruseligen dritten Stock schlafen muss.

https://youtu.be/n05FK5Ms0wE?si=Xt7IHQQaFX9fyAMJ&t=26

Kevin will, dass seine Familie verschwindet und er sie nie mehr sehen muss.

Was Kevin braucht, ist die Erkenntnis, dass Familie etwas sehr Wertvolles ist – auch wenn sie manchmal nervt.

https://www.youtube.com/watch?v=t28UH-uxBMY

In Pixars Soul will Joe Gardner zurück in seinen Körper, um seine Karriere als Jazz-Musiker weiterzuverfolgen und seinem Leben durch Erfolg Sinn zu geben. Was er jedoch braucht, ist die Erkenntnis, dass das Leben selbst – mit all seinen kleinen Momenten – bereits sinnvoll ist und nicht durch große Erfolge definiert wird.

Want vs. Need im Marketing

„Ich verstehe“, sagst du.

„Das Want ist der vordergründige Wunsch – finanzielle Freiheit oder Sicherheit – nach dem die Kund:innen streben und der sie antreibt. Das Need ist, was sie dafür brauchen – also die Ware, die ihnen das Want ermöglicht.“

Im Marketing können wir das Need mit der physischen Ware gleichsetzen. Das kann der Online-Kurs oder der MP3-Player sein.

Das Want ist das Gefühl oder die Emotion, die die Ware versprüht. Es ist die lautlose Stimme, die überzeugend flüstert: „Kaufen!“.

Wir wissen heute, dass die meisten Menschen Kaufentscheidungen emotional treffen und sie nachträglich rational rechtfertigen.

Michael E. Gerber schreibt in seinem Buch The E-Myth Revisited:

The commodity is the thing your customer actually walks out with in his hand. The product is what your customer feels as he walks out of your business. […] The truth is, nobody’s interested in the commodity. People buy feelings.

  • product = das Gefühl, das die Ware erzeugt = Want
  • commodity = die physische Ware = Need

Deshalb verkaufen uns viele der anfangs genannten Online-Kurse nicht die Ware an sich – also den Kurs –, sondern das Gefühl des finanziell freien Lebens, in dem du Geld verdienst, während du Urlaub machst (und Erfahrung brauchst du so und so keine).

Aus Business-Sicht ist es natürlich sinnvoll, den technischen und inhaltlich wahrscheinlich „langweiligen“ Funnel-Kurs als Leben in finanzieller Freiheit zu verkaufen. Vielleicht hilft dir der Kurs ja tatsächlich, dein Traumleben mit deinem Business und der gelernten Marketing-Strategie aufzubauen.

Du merkst an meiner Formulierung – ich versuche schwere Gewichte barfüßig auf einer scharfen Klinge zu balancieren.

Konzentriere dich im Marketing und in deinen Storys auf das Want, auf das (Lebens-)Gefühl, das deine Waren verkaufen. Es spricht deine Kund:innen emotional an und wir wissen, dass sie ihre Kaufentscheidungen auf dieser emotionalen Ebene treffen.

ABER sei vorsichtig, wie du das machst.

Verkaufe keinen Traum, den sie mit viel Glück erreichen können. Achte darauf, dass sich das Gefühl, das du verkaufst, nicht zu weit von der tatsächlichen Ware entfernt (oder mit ihr nichts mehr zu tun hat).

Finanzielle Freiheit durch einen Malen-nach-Zahlen-Marketing-Funnel? Das funktioniert nur in den seltensten Fällen.

Und für alle, die jetzt sagen: „Aber schau dir die Testimonials an!“

Denen antworte ich: „Hast du schon einmal vom Survivorship Bias gehört?“

Shawn Twing & André Chaperon von Modern Marketing System schreiben dazu:

Most offers in our corner of the marketing universe suggest there's a 'right way' (or 'best way') to get results. For example:

  • 'Perfect' webinar funnels...
  • Low-cost 'tripwires' followed by an upsell to a 'core' offer...
  • An endless variety of 'launch' models...
  • Quiz funnels...
  • And the list goes on and on...

[…]

⁠⁠In our combined four+ decades of digital marketing experience, we've never seen a causal relationship between any specific methodology and success.⁠⁠

Ich brauche Schuhe

Ich weiß, ich weiß.

Ich hacke hier viel mit meinem Beil aus Wörtern an Kursen herum, die dir die finanzielle Freiheit versprechen. Das ist eben gerade angesagt (das Versprechen, nicht das Hacken) – viele wollen es, viele verkaufen es.

Im Moment will ich aber keine finanzielle Freiheit, sondern ich brauche neue Schuhe.

Für sportliche Höchstleistungen und das Gefühl, Grenzen zu sprengen, greife ich zu Nike und Adidas.

Für Sicherheit und Abenteuerlust greife ich zu Mammut oder LOWA.

Und für Alltagsbekleidung?

Ich persönlich trage keine Schuhe aus Kunststoffen – da bekomme ich Schweißfüße.

Ich will also frisch riechende Füße, auch wenn ich die Schuhe lange trage.

Ich will ein europäisches Produkt, weil's einfach nicht im EU-Ausland produziert werden muss.

Ich will eine einfache Reinigung, weil ich mir keine Gedanken übers Anpatzen machen will.

Ich kaufe keinen Schuh, der mir als „Schuh der richtigen Größe in stilvoller Farbe und Form“ angeboten wird (=MP3-Player, 5GB).

Ich kaufe einen Schuh, der mir verspricht, dass ich „mir keine Ausrede einfallen lassen muss, wenn ich nach einem langen Arbeitstag ein Date habe und in die Not gerate, meine Schuhe ausziehen zu müssen“ (=1.000 Songs in deiner Hosentasche).

Story und Emotion.

Verkehrte Welt

Das Gefühl, das du verkaufst, ist die Umkehrung eines Problems, das deine Kund:innen haben – und das ihnen unangenehm unter der Haut juckt.

  • Ich will aus dem 9–bis–5 Hamsterrad ausbrechen —> finanzielle Freiheit
  • Ich möchte ohne Schamgefühl nach einem langen Tag meine Schuhe vor anderen ausziehen —> das Gefühl von Frische
  • Ich verzweifle daran, wie lange Hausarbeit dauert → das Gefühl von Leichtigkeit und Zeitersparnis

Bleiben wir bei den Schweißfüßen (ein wunderbar olfaktorisches Thema, nicht wahr?).

Wer zu Schweißfüßen neigt, hatte bestimmt schon mindestens ein unangenehmes Erlebnis damit.

Bei mir war es ein gemeinsamer Urlaub mit Freunden. Es war Sommer, ich hatte leichte Schuhe im Gepäck. Sie waren aus Kunststoff.

Am ersten Abend, als wir nach einem langen Tag wieder ins Apartment kamen und uns die Schuhe auszogen, roch ich meine Füße. Es war grausam – und mir war es unangenehm peinlich. Zum Glück waren wir zu sechst. Für die anderen gab es jeweils fünf Verdächtige, nicht nur mich.

Mein Problem ist gleichzeitig die Umkehrung eines Gefühls, mit dem Marken werben können – das Gefühl der Frische.

Und dieses Gefühl führt mich zur Ware, die mein Problem löst.

🪢 AiA: Aktionen im Alltag

  • Frage dich: Was ist dein Produkt? Welches Problem löst es? Welches Gefühl löst es aus? Freiheit, Sicherheit, Sorglosigkeit … Frische?
  • Vermarkte das Want deines Produkts. Verkaufe das Gefühl, das deine Waren bei deinen Kund:innen erzeugt. Die Menschen wollen finanzielle Freiheit, keinen Marketing-Kurs.
  • Übertreibe nicht. Achte darauf, dass du keine unerreichbaren Träume verkaufst. Kurzfristig mag das funktionieren, langfristig wirst du damit keinen Erfolg haben.

Und jetzt:
Lass dich überzeugen.
Sei überzeugend.

P.S.: Du interessierst dich für das Want vs. Need bei fiktionalen Geschichten?

https://www.youtube.com/watch?v=Zci-54NbeMo