🚨 Achtung: Spoiler 🚨
Wir sind am Höhepunkt von Avengers Endgame.
Tony Stark kniet auf dem Schlachtfeld. Der Kampf gegen Thanos war kräfteraubend – er ist eben kein Gott, nur ein Mensch. Gerade hat er Thanos die fünf Infinity-Steine abgenommen, mit denen dieser die Hälfte der Bevölkerung des Universums ausgelöscht hatte.
Die Energie der Steine durchströmt seinen Körper, kein Mensch kann sie überleben. Er blickt Thanos in die Augen … und sagt: „And I … am … Iron Man“.
Er schnippt mit den Fingern und das Bild färbt sich weiß.
Mit diesen letzten Worten zerstört er Thanos und seine Gefolgschaft.
Es ist das Ende von Tony Stark im MCU – er stirbt.
Was wenige wissen: Der ikonische letzte Satz von Tony Stark stand nicht im Drehbuch. Er wurde nicht gedreht. Er war in der ersten Schnittfassung nicht zu hören, weil es ihn nicht gab. Das könnt ihr in diesem Artikel von IndieWire nachlesen.
Die beiden Regisseure Joe und Anthony Russo fanden erst gemeinsam mit ihrem Editor Jeffrey Ford im Schnitt-Raum heraus, welchen Satz die Szene benötigte.
Shitty first draft
Nein, das Drehbuch von Avengers Endgame war kein Shitty First Draft. Es beinhaltete einen der besten Twists einer Filmreihe, der mir den Film so richtig schmackhaft gemacht hat. Wenn ihr wissen wollt, welcher Twist das ist, dann schreibt mir in den Kommentaren.
Aber die Geschichte zeigt uns, wie wichtig das Überarbeiten ist.
Die Macher des Films gaben sich nicht mit der Szene zufrieden (obwohl weder die Produzenten noch die Drehbuchautoren noch sie selbst während des Drehs die potenzielle Schwachstelle gesehen hatten).
Das Überarbeiten eines Textes, eines Drehbuchs oder eines YouTube-Skripts ist die wichtigste Tätigkeit nach dem eigentlichen Schreiben. Klar: Ohne Text kannst du nichts überarbeiten.
Erst, wenn du den Text fertig geschrieben hast, kannst du ihn als Ganzes betrachten. Stell dir vor, du bist Maler, der den letzten Pinselstrich setzt und dann zurücktritt, um sein Werk zum ersten Mal vollständig anzusehen.
Du wirst Schwachstellen entdecken, die dir davor nicht aufgefallen wären und die du nicht als störend empfunden hättest.
Kannst du dich an Regel #12 von Emma Coats aus meinem Artikel Baue starke Storys! – Mit diesen einfachen Bausteinen [Teil 2 & wie Pixar es macht] erinnern? Wenn du den Artikel nicht gelesen hast, mach das gleich im Anschluss. Für alle anderen hier noch einmal zur Auffrischung:
Discount the 1st thing that comes to mind. And the 2nd, 3rd, 4th, 5th – get the obvious out of the way. Surprise yourself.
Das Offensichtliche wirst du im Shitty First Draft schreiben. Das ist OK. Während der Überarbeitung deiner Texte musst du dir aber die Zeit nehmen, das Offensichtliche zu streichen und durch frische und starke Ideen und Formulierungen zu ersetzen.
Paul Krugman, ein sehr kluger Kopf, machte 1998 folgende Aussage:
„The growth of the Internet will slow drastically, as the flaw in ‘Metcalfe’s law’ — which states that the number of potential connections in a network is proportional to the square of the number of participants — becomes apparent: most people have nothing to say to each other! By 2005 or so, it will become clear that the Internet’s impact on the economy has been no greater than the fax machine’s.“
Das Zitat ist aus heutiger Sicht wie der erste Gedanke im Shitty First Draft. Paul Krugman kann seine Aussage nicht mehr zurücknehmen. Du kannst deinen Text jedoch überarbeiten – also nutze die Möglichkeit.
Überarbeite mit Struktur
Die Expert:innen der Business-Welt lieben es, von Systemen zu sprechen. Mach deine Aufgaben zu einem System, damit du nicht jedes Mal aufs neue Ratearbeit (=guesswork) erledigen musst.
Das Storytelling-Äquivalent dazu ist vermutlich die Struktur – der die erfolgreichsten Geschichten fast immer folgen. Und mit dieser klaren Struktur wirst du auch beim Überarbeiten effizienter und konsistenter.
Kommt dir Folgendes bekannt vor? Du überarbeitest deinen Text und denkst dir:
Der Satz muss einfacher werden. Kann ich dieses Wort verwenden? Oder jenes? Nein, ich schreibe ihn um. Ja, jetzt gefällt er mir.
Beim Lesen merkst du, dass der Absatz nicht zu deinem Text passt und streichst ihn. Weggeworfene Zeit.
Oder schlimmer – du erinnerst dich, wie lange du an dem Satz gearbeitet hast und streichst ihn deshalb nicht.
Daher: Überarbeite mit Struktur.
Beginne groß und werde immer kleiner.
Starte mit den Absätzen. Macht die Struktur deines Textes Sinn? Kommen die Informationen zum richtigen Zeitpunkt? Fehlen Inhalte? Gibt es unnötige Inhalte? Schau auf das große Ganze. Erst wenn du mit deiner Struktur, deinen Inhalten und deren Anordnung zufrieden bist, vergrößere deinen Ausschnitt.
Überarbeite die Sätze. Sind sie aktiv? Sind sie einfach? Geht es auch mit weniger Wörtern? Erzählst du bildlich? Hier kannst und sollst du spielen. Probiere neue Formulierungen aus, vereinfache, oder – wenn es sinnvoll ist – füge Details hinzu, um nicht in Verallgemeinerungen zu versinken.
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Wenn du mehr schnell umsetzbare Tricks für deine Storys haben willst, dann schau doch mal zum StorytellingOS Quickie. In neun kurzen Kapitel verrate ich dir simple Tipps und Techniken, mit denen du deine Geschichten zu wahren Powerstorys machst.
Und als letztes, vergrößere deinen Ausschnitt noch einmal.
Fokussiere dich auf einzelne Wörter. Gibt es ein simpleres Wort? Ein stärkeres Wort? Benutzt du Fachsprache? Hat es die richtige Bedeutung? Welches Framing hat das Wort? Welche weiteren Bedeutungen? Das richtige Wort an der richtigen Stelle wird deinen Text auf das nächste Level heben.
Grenzen Setzen
Geht es dir wie mir?
Jedes Mal, wenn ich einen eigenen Text öffne, finde ich Formulierungen und Wörter, die mir nicht (mehr) gefallen – auch wenn ich denselben Text zuvor schon mehrere Male überarbeitet habe. Ohne Grenzen würde mein Kreisel namens Überarbeitung nie aufhören, sich zu drehen.
Im Gegensatz zum Ende des Films Inception will ich aber nicht herausfinden, ob der Kreisel jemals von allein stoppen würde. Ich stoppe ihn – und denke dabei an Regel #8 von Emma Coats (welche das ist, erfährst du gleich in den AiA’s)
Der wohl wichtigste Tipp beim Überarbeiten ist deshalb: Setze dir Grenzen.
Am besten machst du das mit Deadlines, denn wie sagt das Parkinsonsche Gesetz so schön:
Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.
🪢 AiA: Aktionen im Alltag
- Dein Text ist nicht perfekt. Und das ist OK. Auch das Drehbuch zum großen Finale des erfolgreichsten Franchise der Welt war nicht perfekt. Ihm fehlte der ikonische Satz von Tony Stark.
- Sei nicht faul … überarbeite. Der erste Punkt ist keine Anleitung zum Faulsein. Überarbeite deine Texte so intensiv du kannst. Komme ins Schwitzen, sei außer Atem und mache weiter, bis du keine Energie mehr hast (die Energie = der Abgabetermin).
- Sei zufrieden. Denke an Regel #8 von Emma Coats: „Finish your story, let go even if it’s not perfect. In an ideal world you have both, but move on. Do better next time“.
Wenn du wissen möchtest, wie du aus einfachen Bausteinen starke Storys baust, dann lies als Nächstes den Artikel Baue starke Storys! – Mit diesen einfachen Bausteinen [Teil 1]. In zwei Teilen zeige ich dir die simplen, aber vielseitigen Bausteine des Storytellings, mit denen du jede Geschichte zu einer Powerstory machst.
Und jetzt:
Lass dich überzeugen.
Sei überzeugend.