Mit knurrendem Magen betrittst du das Restaurant.
Der elegante Name, die Einrichtung von außen und die Spezialitäten des Hauses haben dich angelockt.
Es ist gut besucht, die Tische sind voll und trotzdem ist es nicht laut. Du nimmst die entspannte Stimmung wahr und atmest tief ein. Die Düfte aus der Küche versprühen ihre Überzeugungskraft. Du hörst es leise brutzeln und braten.
Eine Dame kommt freundlich auf dich zu.
„Wenn sie sich jetzt sofort entscheiden, kann ich ihnen unseren letzten freien Tisch anbieten“, sagt sie. „Sonst sind alle Plätze belegt.“
„Ich habe draußen keine Preise gesehen …“, beginnst du zu fragen und hörst die Tür hinter dir.
Die Kellnerin blickt von dir zum neuen Gast und begrüßt ihn ebenso höflich.
Dein leerer Magen meldet sich und du entschließt dich, den letzten Platz zu nehmen.
Freundlich führt sie dich zu deinem Tisch. Du blickst zurück, siehst aber niemanden am Eingang warten.
Dein Platz liegt direkt am Fenster, mit wunderbarem Blick auf den Innenhof, in dem eine knorrige Platane Wache hält.
Bevor du nach der Speisekarte fragen kannst, serviert dir die Kellnerin den Gruß aus der Küche. Das kleine Gericht ist wunderbar zubereitet, elegant angerichtet und duftet herrlich.
Du kostest es und der Geschmack verzaubert die Knospen deiner Zunge. Du denkst nicht mehr an fehlende Preise.
Der Nachgeschmack des letzten Bisses entfaltet sich noch auf deinem Gaumen, als die Kellnerin plötzlich neben dir steht und fragt, „Wie hat es ihnen geschmeckt?“
„Es war köstlich“, sagst du und bevor du noch etwas hinzufügen kannst, erklärt sie dir die drei Menüs, zwischen denen du wählen kannst. Ein günstiges, ein mittleres, und ein teures, das nur etwas mehr kostet, als das mittlere.
„Von unserem Premium-Menü haben wir nur noch eines vorrätig – es ist das beliebteste und meist bestellte Menü unserer Gäste.“
Du denkst an den großartigen Gruß aus der Küche, an deinen noch nicht zufriedengestellten Magen und daran, dass die ersten beiden Menüs, wenn auch köstlich klingend, zu spärlich ausfallen würden.
Du entscheidest dich für das Premium-Menü.
Die Kellnerin zückt ihr Gerät, um die Bezahlung durchzuführen. „Sie müssen zwar jetzt bezahlen – wenn sie nicht zufrieden sind, bekommen sie ihr Geld aber zurück.“
Du wunderst dich. Noch könntest du aufstehen und gehen. Aber ihre Versicherung der Geld-Zurück-Garantie überzeugt dich und du bezahlst das Premium-Menü.
Von diesem Moment an siehst du die Kellnerin nur mehr, wenn sie dir den nächsten Gang deines Menüs bringt – und jedes Mal verschwindet sie so schnell wieder, dass du keine Frage stellen oder einen Wunsch äußern kannst.
Am Boden des Tellers deiner Nachspeise entdeckst du eine Nachricht. „Vielen Dank für Ihren Besuch. Auf Wiedersehen.“
Du siehst dich um, aber deine Kellnerin ist nicht zu sehen – keine Servicekraft ist zu sehen. Du entschließt dich zu gehen, und zurück bleibt das schale Gefühl, dass du ausgepresst wurdest wie die Orange, die dir als frisch gepresster Orangensaft serviert wurde.
Wie fühlst du dich?
So oder so ähnlich sehen klassische, lineare Marketing-Funnel aus. Eine Variation der drei Auswahlmöglichkeiten der Menüs wäre ein einziges Menü, für das dir die Kellnerin einen unverschämt teuren Preis nennt. Bevor du erbost aufstehen und aus dem Restaurant stürmen kannst, sagt sie dir, dass das der gewöhnliche Preis ist. Heute kostet das Menü deutlich weniger, nur ein Viertel des eigentlichen Preises – und du bekommst einen Aperitif (im Wert von 20€), einen Espresso (im Wert von 8€) und einen Cocktail (im Wert von 30€) als Bonus gratis dazu.
Lineare Funnel sind darauf ausgelegt, dich mit verzerrenden Sales-Tricks und psychologischen Taschenspielereien zum Kauf zu treiben. Sie nutzen die Werkzeuge der Reziprozität, Knappheit, Verlustaversion und sozialen Bewährtheit. Wie die Tricks funktionieren und was du dagegen tun kannst, liest du in Robert B. Cialdinis Buch Influence.
Die Klick & ab-Reaktionen wirst du bestimmt nicht vergessen.
Die Tricks treiben dich in die Enge – als gäbe es am Ende eines Konzerts nur einen Ausgang. Er ist als Trichter geformt und mündet in einem Gang, den man nur im Gänsemarsch durchschreiten kann. Auch wenn du dich entscheidest, nicht gehen zu wollen, treibt dich die Menge immer weiter vor. Du kommst nicht mehr zurück. Du bist dem vorgegebenen Weg ausgeliefert.
Ich möchte die Methoden der Verkaufspsychologie nicht als dunkle Dämonen an die Wand malen. Anders als in meinem Beispiel haben wir immer die Möglichkeit, nicht zu kaufen. Der Trick der Methoden besteht jedoch darin, unsere Emotionen so weit zu beeinflussen, dass wir den Kauf stark sediert und auf Autopilot geschaltet tätigen – und uns die Entscheidung nachträglich mit rationalen Argumenten schönreden.
Open World im Marketing
Den Gamern unter euch ist die Bezeichnung Open World natürlich ein Begriff. Sie ist eine Spielwelt, die dir zwar einen groben Rahmen vorgibt, in der du dich aber frei bewegen und die Aufgaben und Missionen in der Reihenfolge deiner Wahl erledigen kannst.
Durch Zufall und rastloses Suchen nach neuen interessanten Ideen bin ich auf die Website von André Chaperon gestoßen. Auf seiner Website (seiner digitalen tiny world) erzählt er von einer neuen Methode des Content-Marketings. Anstatt durch Content und lineare Funnel Kunden zu gewinnen, baut er über seine Geschichten ein dichtes Netz von Inhalten auf, in dem sich die Besucher:innen „frei“ bewegen können.
Durch Verlinkungen zieht er sein interessiertes Publikum immer tiefer in seine erbaute kleine Welt hinein. Er bietet seinem Publikum Wissen und Unterhaltung – alles, was gutes Storytelling zu bieten hat. Dem Spruch alle Wege führen nach Rom folgend führt der „freie“ Weg seines Publikums schlussendlich zu einem Produkt. Zu diesem Zeitpunkt hat Andre, so lautet seine These, Vertrauen zu seinen potenziellen Kund:innen aufgebaut. Es geht nicht um den schnellen Verkauf, sondern den Vertrauensgewinn, an dessen Ende eine Verkaufsseite wartet.
Auf diesem Weg erzwingt er nicht einen schnellen Verkauf und winkt seinen Kund:innen adieu – nein, er verwandelt sie in treue Fans, die seine Produkte ohne nachzudenken kaufen und sich den Kauf nachträglich nicht mit rationalen Argumenten schönreden müssen, sondern glücklich damit sind.
Glückliche Kund:innen
Das größte Möbelhaus des Landes spielt auf einem anderen Spielfeld als wir, die wir „kleine“ Dienstleister oder Unternehmerinnen sind. Wir spielen nicht das Spiel der großen Zahlen, in dem nicht glückliche Kund:innen keine Rolle spielen. Unser Spielfeld ist klein.
Wichtiger als die immer wieder bemühten Metriken des CPC oder die Conversion-Rate pro Funnel-Ebene ist die Zufriedenheit deiner Kund:innen. Sie ist aber nur schwer messbar. Stelle dir also die Frage:
- Streben Menschen nach Freiheit, dem Gefühl, sich frei in alle Richtungen bewegen zu können oder nach dem schmalen, gedrängten Gang, in dem sie die Massen nach vorn schieben und sie nichts anderes machen können, als mit der Masse zu schwimmen?
So formuliert, ist die Frage nicht schwer zu beantworten. Wir alle möchten uns entfalten und unseren eigenen Weg gehen. Warum bauen wir unser Marketing also nicht darauf auf? Warum erlauben wir unseren potenziellen Kund:innen nicht, sich in unserer kleinen Welt zu verlieren, in der die Straßen schlussendlich auf der Sales-Page münden?
Auch wenn das rohe Ergebnis – der Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung – dasselbe ist, sind die Kund:innen in der Open World glücklichere Kund:innen, die viel eher wiederkommen und andere Produkte oder Dienstleistungen kaufen. Sie fühlen sich, als hätten sie eine freie Entscheidung getroffen und wären selbst du dem Ergebnis des Kaufs gekommen, ohne dazu gedrängt oder überredet worden zu sein.
World Building und Storytelling
World Building folgt bestimmten Regeln und einem Rahmen, der uns an der Hand nimmt und uns anleitet. Aber ohne Storytelling kein World Building. Storytelling ist das Zentrum meiner tiny world, an dem alles zusammenläuft und … von dem alles ausgeht.
Wenn du mehr über World Building im Marketing wissen möchtest, dann schreibe mir das gerne in die Kommentare.
Vergiss eines nicht: Du baust die Welt nicht für dich. Du baust sie für deine Kund:innen, die zukünftigen Einwohner:innen deiner Welt.
Deine eigene Unternehmenswelt aufzubauen ist weniger kompliziert, als du vielleicht glaubst. Sie besteht aus nur wenigen Grundbausteinen, die dir trotzdem eine unendlich scheinende Freiheit geben. Denke an Lego.
Und jetzt:
Lass dich überzeugen.
Sei überzeugend.
P.S.: Ich habe mich durch André Chaperons Welt geklickt und fand fast immer zur Verkaufsseite Tiny Digital World Builders (die erst 2025 öffnet).
